20 Jahre Einsatz für die Gesundheit benachteiligter Menschen

20 Jahre Einsatz für die Gesundheit benachteiligter Menschen

20 Jahre: So lange gibt es die Plattform migesplus.ch bereits. Sie wurde Anfang der 2000er Jahre geschaffen, um Fachleute unterschiedlicher Bereiche in ihrer Arbeit mit Migrantinnen und Migranten zu unterstützen. Das Ziel: die Gesundheit der Migrationsbevölkerung in der Schweiz zu fördern. Mit der Zeit wurde das Angebot auf Fachpersonen ausgeweitet, die mit benachteiligten Menschen ohne Migrationshintergrund arbeiten. Heute richtet sich migesplus vermehrt auch an Personen, die sich ausserberuflich – ehrenamtlich – im Migrationsbereich engagieren.

Symbolbild. © Pexel, Pavel Danilyuk

Die Plattform migesplus.ch wurde 2004 im damaligen Departement Migration des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK) gegründet. Sie wurde von Anfang an durch das Bundesamt für Gesundheit (BAG) unterstützt. Die Gründung von migesplus war eine der Massnahmen, mit der die Schweiz auf die Anliegen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) reagierte. Diese hatte 1977 das weltweite Ziel «Gesundheit für alle bis zum Jahr 2000» formuliert. Im Fokus stand der ungleiche Zugang zur Gesundheit in der Welt. Im Juli 2000 unterzeichneten das BAG und das SRK einen Leistungsvertrag. In der Folge verpflichtete sich das SRK zur Gründung eines Zentrums für Migration und Gesundheit – ein Pioniermodell, das zugleich die Migrationsbevölkerung und das Gesundheitssystem ansprach. Mit seinen Schulungen in transkultureller Kompetenz, die beide Seiten befähigen sollen, aus einer neutralen Perspektive heraus zu handeln und das Gegenüber als Individuum wahrzunehmen, wurde das Zentrum zur Wiege der Plattform migesplus.

Eine Plattform für mehrsprachige Gesundheitsinformationen

Im August 2004 ging die Plattform migesplus.ch online. Sie enthielt alle mehrsprachigen Gesundheitsinformationen, die damals für die Migrationsbevölkerung zur Verfügung standen. Fachleute aus dem Gesundheits-, Sozial- und Bildungsbereich, die mit Migrantinnen und Migranten arbeiteten, konnten sich so einen Überblick über die verfügbaren Materialien verschaffen und diese anschliessend als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren in ihrem Arbeitsalltag nutzen und verbreiten. Die Plattform sollte Informationslücken aufdecken, vorbildliche Broschüren als gute Beispiele präsentieren und Wege aufzeigen, wie diese Unterlagen die Migrationsbevölkerung erreichen können. Ein halbes Jahr nach ihrer Lancierung verzeichnete die Plattform bereits 3000 Besucherinnen und Besucher sowie 4500 bestellte Broschüren.

Das SRK verfügte schon damals über einschlägige Erfahrung: Seit 1992 war es für die Gesundheitskontrollen an der Grenze und in den Durchgangszentren zuständig. Im Rahmen dieser Aufgabe schulte es das Personal und übersetzte die Tuberkulose-Informationen in zahlreiche Sprachen. Zwischen 1985 und 1998 verwaltete das SRK ausserdem Begegnungs- und Beratungszentren für anerkannte Flüchtlinge. Dort waren die Themen Übersetzung und psychische Gesundheit, insbesondere Traumata, sehr präsent. 1995 eröffnete das SRK ein Therapiezentrum für Folteropfer, das heutige Ambulatorium SRK.

Die Rolle der Migrationsgeschichte und -politik

Die Geschichte von migesplus ist eng mit dem Engagement des SRK im Migrationsbereich verbunden. Dieses wiederum ist stark von der Migrationsgeschichte und -politik der Schweiz geprägt. 1998, als im Zuge des Kosovo-Krieges zahlreiche Menschen in der Schweiz eintrafen, wurde das erste Asylgesetz von 1981 vollständig revidiert. Daraufhin fiel die Flüchtlingshilfe den Kantonen zu und die Hilfswerke verloren ihren Auftrag in der Betreuung anerkannter Flüchtlinge. Das «Departement Flüchtlingshilfe» des SRK musste sich diesen Entwicklungen anpassen. Umbenannt in «Departement Migration», erarbeitete es neue Dienstleistungen und Schulungen im Bereich der transkulturellen Beratung. Die Kurse fanden nicht nur in Schulen (Konfliktmanagement) und Gesundheitsinstitutionen statt, sondern auch in Wirtschaftskreisen und bei Behörden. Mit der wachsenden Zahl an Menschen, die in die Schweiz einwanderten, nahmen auch die Akteure und Gesellschaftsbereiche zu, die von Migrationsfragen betroffen waren. Unter den Hilfswerken entstand eine bisher unbekannte Konkurrenz. Vor diesem Hintergrund verschob das Departement Migration seinen Tätigkeitsschwerpunkt auf den Gesundheitsbereich.

Aus dem Stand zum «Bestseller»

2001 gab das SRK gemeinsam mit Caritas Schweiz und dem BAG den Gesundheitswegweiser Schweiz heraus. Er sollte Migrantinnen und Migranten helfen, sich im Labyrinth des schweizerischen Gesundheitssystems zurechtzufinden. Die Erstellung und Übersetzung in 19 Sprachen war ein aufwändiger, aber lehrreicher Prozess. Der Wegweiser wurde in den Institutionen und durch Ausbildungsverantwortliche im Gesundheits- und Sozialwesen sowie in Spitälern und Arztpraxen verteilt. Er erfreute sich rasch grosser Beliebtheit und lockte in der Folge zahlreiche Besucherinnen und Besucher auf die migesplus-Website. Ab 2004 bildete das SRK ausserdem Multiplikatorinnen und Multiplikatoren aus: Personen mit Migrationserfahrung, die ihren Landsleuten die Inhalte des Gesundheitswegweisers mündlich vermittelten. Das Ziel war, sowohl gesundheitliche Chancengleichheit zu ermöglichen als auch ein verantwortungsbewusstes Verhalten und eine angemessene Nutzung des Gesundheitssystems zu fördern.

Von der BAG-Plattform zum Redcross-Satelliten

Im Dezember 2001 entstand im Auftrag des BAG die Vorläufer-Plattform «miges.ch». Sie enthielt neben Ausschreibungen für Kurse und Weiterbildungen einige Materialien und diente der Vernetzung. 2004 wurde parallel dazu die Plattform «migesplus.ch» aufgeschaltet, welche Broschüren und Videos in mehreren Sprachen anbot.

Die allererste Plattform migesplus.ch (Screenshot aus dem Jahr 2006, Internet Archive).
Die allererste Plattform migesplus.ch (Screenshot aus dem Jahr 2006, Internet Archive).

Im Jahr 2005 gingen die Asylgesuche zurück und der Bund beschloss Sparmassnahmen. Dies führte zu Restrukturierungen im Migrationsdepartement des SRK, ausser in der Therapie für Folter- und Kriegsopfer und in der Rückkehrhilfe. Für Gesundheitsfachleute, insbesondere in der Pflege, wurden Schulungen in transkultureller Kompetenz entwickelt. Diese sollten nicht nur die Gesundheit von Menschen mit Migrationshintergrund fördern, sondern ihnen auch eine bessere Integration in den Arbeitsmarkt ermöglichen. Am 1. Januar 2007 schlossen sich das Departement Migration und das Departement Berufsbildung zum heutigen Departement Gesundheit und Integration zusammen. Die neue SRK-Strategie setzte vermehrt auf Kompetenzzentren und Verbandsarbeit, und migesplus war ein Erfolg. 2009 sprach das BAG zusätzliche Mittel für die Plattform.

Ab diesem Zeitpunkt kamen regelmässig neue Projekte hinzu; migesplus wuchs stetig. 2012 machten europäische Institutionen und ebenso das SRK ältere Migrantinnen und Migranten zum Schwerpunktthema. Das SRK hatte ihnen bereits 2010 eine Nationale Konferenz gewidmet. In der Folge verstärkte migesplus seine Kontakte mit dem Nationalen Forum Alter und Migration.

2015 kamen zwei weitere Projekte hinzu: migesExpert, das ärztliches Personal und Sozialfachleute mit Informationen zu Migration und Gesundheit versorgte, und migesMedia, das Fachpersonen einen innovativen Kanal für die Verbreitung von Gesundheitsinformationen bot: die Medien der Migrationsbevölkerung.

Die Medien der Migrationsbevölkerung ermöglichen es, Gesundheitsinformationen zu verbreiten. © SRK, 2018
Die Medien der Migrationsbevölkerung ermöglichen es, Gesundheitsinformationen zu verbreiten. © SRK, 2018

Nach einer nationalen Fachtagung des SRK im Jahr 2017 zum Thema Trauma bei jungen Geflüchteten entstand eine neue Unterseite, die Fachpersonen in dieser Thematik unterstützen sollte.

Ende 2017 kam das nationale Programm, das am Ursprung der Plattform stand, zum Abschluss. In der Zwischenzeit war migesplus.ch zu einem eigentlichen Portal geworden. Es umfasste zu diesem Zeitpunkt migesInfo (Broschüren), migesExpert (Beratung), die SRK-Schulungen in transkultureller Kompetenz, traumatisierung.migesplus.ch, migesMedia.ch und die Plattform Alter und Migration.

Um dazu beizutragen, dass die Gesundheitsinformationen die benachteiligten Menschen tatsächlich erreichen, kam 2020 die Unterseite «Zugangswege» zur Plattform hinzu. Beim «Relaunch» im Jahr 2022 wurden sämtliche Unterseiten zu einem neuen Ganzen zusammengefasst. Fast zeitgleich überarbeite das SRK seine Website redcross.ch und integrierte nach und nach deren Satelliten. Migesplus.ch konnte indes als eigenständiger Satellit ausserhalb von redcross.ch bestehen bleiben.

Neue Zielgruppen

Die Kunst von migesplus besteht darin, zwei Ebenen von Zielgruppen anzusprechen. Zum einen Personen, die gesundheitlich besonders verletzlich sind (Endzielgruppen), zum anderen die diversen Mittler:innen, die mit diesen Zielgruppen arbeiten. Damit die Informationen ankommen, muss jede Vermittlungsperson – Sozialarbeiter, Ärztin, Lehrkraft usw. – für die besonderen Informationsbedürfnisse jeder Endzielgruppe, mit der sie zu tun hat, sensibilisiert sein. Migesplus bietet hier die nötige Beratung und Wissensvermittlung.

Jede Endzielgruppe hat besondere Informationsbedürfnisse. © SRK, Ruben Ung
Jede Endzielgruppe hat besondere Informationsbedürfnisse. © SRK, Ruben Ung

Für die Endzielgruppen ist der Zugang zum Gesundheitssystem umso schwieriger, je mehr benachteiligende Faktoren – niedriger Bildungsstand, schwierige Migrationsgeschichte, unsicherer Aufenthaltsstatus, mangelnde Kenntnisse der Landessprachen, Armut, Inhaftierung usw. – auf sie zutreffen. Eine besonders verletzliche Gruppe sind in diesem Sinne die «Sans-Papiers». Für sie eröffnete das SRK 2007 eine medizinische Sprechstunde in Bern. Nach Abschluss des Nationalen Programms Migration und Gesundheit wurden ab 2018 auch einheimische benachteiligte Bevölkerungsgruppen – ohne Migrationshintergrund – zu einer Endzielgruppe, die von der Erfahrung von migesplus profitieren kann.

2024 weitet die Plattform migesplus ihr Angebot auf Mittler:innen aus, die sich nicht beruflich, sondern ehrenamtlich für benachteiligte Bevölkerungsgruppen engagieren. Für sie stellt migesplus.ch Inhalte bereit, die aus der früheren «Infobox Migration» (2021–2024) stammen und beispielsweise den Asylkontext erläutern.

Corona-Pandemie und Ukraine-Konflikt: schnell reagiert

Die jüngste Vergangenheit von migesplus war stark durch die Covid-19-Pandemie im Jahr 2020 und die Eskalation des Ukraine-Konflikts zwei Jahre später geprägt. Während der Pandemie übermittelte die Plattform die Corona-Informationen der Behörden an die benachteiligten Bevölkerungsgruppen, was zur Eindämmung des Virus beitrug. Dabei setzte das migesplus-Team die Medien der Migrationsbevölkerung und neue Technologien auf innovative Weise ein. Zudem konnte das SRK dank der Beratungserfahrung von migesplus die Kantonsbehörden dabei unterstützen, den Zugang benachteiligter Bevölkerungsgruppen zu den Test- und Impfzentren zu verbessern. Die Besucherzahlen auf migesplus.ch sind in dieser Zeit regelrecht explodiert.

Ebenso schnell reagierte das migesplus-Team Anfang 2022 auf den Zustrom von Geflüchteten aus der Ukraine. Es liess wichtige Gesundheitsinformationen für die Betroffenen umgehend auf Russisch und Ukrainisch übersetzen, stellte den Gastfamilien Trauma-Materialien und Übersetzungshilfen zur Verfügung und stellte den Kontakt mit dem Suchdienst SRK und anderen Stellen her, die für die psychische Gesundheit der Geflüchteten wichtig sind.

Katharina Liewald, Co-Verantwortliche der Plattform, fasst zusammen: «Die Plattform migesplus.ch konnte in den vergangenen 20 Jahren immer schnell auf aktuelle Entwicklungen im Migrations- und Gesundheitsbereich reagieren und dazu beitragen, dass Informationslücken für verletzliche Menschen geschlossen werden konnten. Dabei ist und bleibt die Erreichbarkeit der Endzielgruppen eine ständige Herausforderung. Innovative Zugangswege sind daher sehr gefragt.»

Heute verfolgt migesplus zunehmend einen partizipativen Ansatz, um diesen Zugang gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern der Endzielgruppen zu gewährleisten.

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